Ambrosius und die Punkte des Glücks
"Warum bin ich bloß so giftig?“ – Ambrosius Amanita und die Wahrheit über rote Hüte
Im tiefgrünen Schatten einer alten Fichte stand Herr
Ambrosius Amanita, ein Fliegenpilz, wie er im Märchenbuch steht: roter Hut, weiße Tupfen, so auffällig, dass selbst die Waldameisen manchmal Selfies mit ihm machen wollten.
Und doch war Ambrosius todunglücklich.
„Warum“, jammerte er, „musste ich voller Ibotensäure und Muscimol stecken? Ich wäre so gern ein Steinpilz! Die werden in Butter gebraten, mit Petersilie bestreut und mit ‚hmm‘ bewundert. Und ich? Mich würdigt man höchstens mit einem: ‚Finger weg, giftig!‘“
Da schlich Konrad Klugschweif, der Fuchs, herbei, sein Schweif so elegant wie frisch frisiert.
„Ambrosius, du bist doch schon berühmt! Keine Postkarte ohne dich, keine Silvesterdeko ohne Glückspilz. Ich zum Beispiel bin zwar schlau, aber noch nie auf einer Serviette gedruckt worden.“
Balduin Langohr, der Hase, kam dazu und lachte:
„Und du bist robust! Manche Schnecken knabbern an dir, ohne gleich umzukippen. Ich dagegen – einmal Löwenzahn zu viel und mein Bauch grummelt. Außerdem: Wer war Pilz des Jahres 2022? Richtig. Nicht der Pfifferling, sondern du!“
Ambrosius seufzte. „Aber Steinpilze sind beliebt, Pfifferlinge begehrt, sogar Champignons schaffen es in jedes Supermarktregal. Ich dagegen? Halluzinationen, Übelkeit, Schwindel. Wer will sowas schon?“
Da flatterte Fräulein Rubinia, das Rotkehlchen, auf seine Kappe und zwitscherte:
„Lieber Ambrosius, du unterschätzt dich. Unter Birken und Fichten gehst du eine Partnerschaft ein, die Mykorrhiza heißt. Du versorgst die Bäume mit Mineralstoffen und bekommst dafür Zucker. Ohne dich wäre der Wald ärmer. Und deine roten Farben? Sie sind Warnsignal und Lebensversicherung für viele Tiere. Ehrlicher kann Kommunikation nicht sein.“
Ambrosius runzelte die Punkte. „Aber was ist mit diesen Geschichten von Rentieren, die mich fressen und dann tanzen?“
Rubinia nickte: „Stimmt, in Sibirien wurden solche Szenen beobachtet. Und Schamanen nutzten dich für Rituale. Manchmal wurde sogar behauptet, die wilden Berserker hätten dich verspeist, bevor sie in die Schlacht zogen. Ob das stimmt, sei dahingestellt – aber du bist ein Pilz mit Legendenstatus!“
Konrad grinste. „Und mal ehrlich: Hast du schon mal einen Steinpilz auf einer Weihnachtskugel gesehen? Eben.“
Balduin ergänzte: „Vergleiche dich nicht dauernd mit anderen. Jeder hat Stärken. Die einen schmecken in Butter, die anderen bringen Bäume zum Wachsen oder zieren Märchenbücher.“
Rubinia flatterte ein Stück näher: „Und vergiss nicht, deine kleinen Erfolge zu feiern. Jeder Sonnenstrahl, der deine Punkte zum Funkeln bringt, ist ein Grund zum Stolz.“
Da hob Ambrosius den Hut, seine weißen Punkte funkelten wie Sterne.
„Vielleicht sollte ich wirklich aufhören, Steinpilz spielen zu wollen. Ich bin Ambrosius Amanita – Giftpilz, Märchenstar, Baumfreund und Glückssymbol.“
„Genau!“, riefen seine Freunde im Chor. „Denn wahre Größe zeigt sich nicht im Kochtopf, sondern darin, dass man leuchtet, wie man ist.“
Und so strahlte Ambrosius noch lange im Wald – nicht essbar, aber unverwechselbar.
Quelle:
Fliegenpilz – Wikipedia







