Kontrolliert vertrauen – oder wie man sein ‘Vertrauenskonto’ füttert
„Wir gehen vertrauensvoll und offen miteinander um“ – Sätze wie dieser zieren jedes Unternehmensleitbild. Nur leider beschreiben sie oft ein Wunschbild, das in der Realität ziemlich weit entfernt ist. Solche sogenannten „Leid-Sätze“ erzeugen meist Frust und Zynismus, statt Identifikation. Mitarbeiter flüstern sie sich augenrollend zu, wenn wieder einmal ein Kollege oder Vorgesetzter eklatant gegen die Spielregeln verstößt – oder zumindest gegen ihre eigene Interpretation derselben. Umso wichtiger ist es, zu klären, was wirklich ein vertrauensvolles Klima ausmacht und was man tun (oder unterlassen) sollte, um es zu fördern.
Vertrauensdefizite und Wunsch nach Vertrauen
Fast jeder wünscht sich ein Betriebsklima, das von Vertrauen und Offenheit geprägt ist – nicht von Schuldzuweisungen, Revierdenken oder taktischen Spielchen. Wer würde nicht lieber in einem eingeschworenen Team erfolgreich sein, statt ständig auf der Hut zu sein, um nicht unter die Räder zu kommen?
Doch in vielen Unternehmen herrscht genau das Gegenteil: Misstrauen, Machtspielchen und Eigeninteressen bestimmen den Alltag. Oder man erlebt die „Altlasten“ vergangener Konflikte: Unerfüllte Versprechen, halbherzige Rückendeckung, vergessene Karrierezusagen – alles gespeichert in der kollektiven Erinnerung der Mitarbeiter.
Das „unangenehme Geheimnis“ des Vertrauens
Wenn Vertrauen so erstrebenswert ist, wieso bemüht sich kaum jemand, es systematisch aufzubauen? Vertrauen ist kein Hexenwerk – es ist eine Managementaufgabe wie jede andere. Wer versteht, welche Faktoren Vertrauen fördern, kann aktiv handeln. Stattdessen behandelt man es oft wie ein Naturgesetz: Man hofft, dass es einfach entsteht.
Vertrauenskonto
Vertrauen funktioniert wie ein Bankkonto: Wer abheben möchte, muss vorher einzahlen.
- Ein kleines Beispiel: Ein Mitarbeiter übergeht einen Kollegen bei einer Entscheidung, um Zeit zu sparen. Kurzfristig praktisch, aber das „Vertrauenskonto“ sinkt.
- Oder: Ein Vorgesetzter verschweigt den wahren Aufwand einer Zusatzaufgabe, um Zustimmung zu bekommen – ein kleiner Vorteil für ihn, aber ein großer Verlust an Vertrauen.
Tipp: Wer ein hohes Vertrauen „guthaben“ will, sollte zuerst einzahlen – nicht abheben.
Missachtung des einfachen Zusammenhangs
Warum ignorieren wir das? Weil wir die Konsequenzen fürchten: Wenn wir auf Vertrauen setzen, müssen wir auf kurzfristige Vorteile verzichten. Ein Klassiker im Büro: Fakten schaffen, statt einen Konsens zu suchen; Kollegen übergehen, um schneller voranzukommen; kleine „Cleverness-Tricks“ auf Kosten anderer. Alles legal, alles kurzfristig praktisch – und alles Vertrauen zerstörend.
Vertrauen entsteht durch Erfahrung
Am Anfang jeder Beziehung steht ein Vertrauensvorschuss. Niemand würde jeden Fremden auf der Straße für einen potentiellen Mörder halten – sonst wäre das Leben unmöglich. Aber der Vorschuss variiert: Nachts in einer dunklen Gasse traut man weniger als am helllichten Tag in der Fußgängerzone.
- Alltagsbeispiel: Im Zug bittet man einen Fremden, auf das Gepäck aufzupassen. Man kennt ihn kaum – trotzdem vertraut man ihm.
- Kinderbetreuung: Eltern geben Fremden schon nach kurzer Kennenlernzeit ihre Kinder anvertrauen – weil kleine Signale der Freundlichkeit und Kompetenz das Vertrauen schnell wachsen lassen.
Doch Vertrauen ist nie grenzenlos: Niemand würde Fremden seine Kreditkarte überlassen, nur weil er ihnen das Gepäck anvertraut.
Dreifache Generalisierung von Misstrauen
- Man misstraut nicht nur dem Täter selbst, sondern auf andere Lebensbereiche („Diesem Typen ist nicht zu trauen!“).
- Man wird generell misstrauisch nach Enttäuschungen („Nie wieder vertraue ich jemandem mein Gepäck an!“).
- Andere übernehmen das Misstrauen, das sie beobachten („Wenn dem Kollegen das passiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es mir auch passiert.“).
Konsequenz: Schlechte Erfahrungen hinterlassen Altlasten in Unternehmen, die selbst neue Vorhaben vergiften.
Belastbarkeit von Vertrauen
Vertrauen ist mehr als die Abwesenheit von Misstrauen. Es ist die Gewissheit, dass man sich auch in kritischen Situationen auf den anderen verlassen kann.
- Alltagsbeispiel: Ein Mitarbeiter hält schlechte Nachrichten zurück, bis die Deadline naht – das Vertrauen sinkt, der Chef ist überrascht, die Kontrolle verschärft sich.
- Falscher Glaube: Nettigkeit allein schafft Vertrauen nicht. Vertraut wird eher strengen, fordernden Führungskräften, bei denen klar ist, woran man ist.
Vertrauen und Kontrolle
Vertrauen ist nicht alles oder nichts. Es gibt Abstufungen. Kontrolle ist nicht das Gegenteil von Vertrauen – sie ist sein logisches Gegenstück.
- Beispiel: Ein neuer Mitarbeiter bekommt mehr Kontrolle, ein erfahrener, bewährter Kollege weniger. Ein Mitarbeiter mit zweifelhaften Absichten wird stärker überwacht.
Merksatz: Kontrolle ist dann hilfreich, wenn sie konstruktiv ist – nicht um Fehler aufzudecken, sondern um Leistung anzuerkennen und Entwicklung zu fördern.
Spieltheorie und Kooperation
Aus Soziobiologie und Spieltheorie lernen wir: Kooperation bringt langfristig mehr Gewinn als kurzfristige Egoismen.
- Beispiel aus der Praxis: Ein Autohändler, der auf Wiederholungskunden setzt, behandelt diese pfleglich. Ein Bauunternehmer, der nur einmal verkauft, hat weniger Anreiz zu fairer Kooperation.
- Wer ständig egoistisch spielt, verliert langfristig: ständige Neuverhandlungen, Misstrauen, verlorene Chancen.
Die optimale Strategie für langfristige Beziehungen heißt „Tit-for-Tat“: kooperativ starten, bei unfairer Handlung sofort reagieren, dann erneut kooperativ anbieten.
Trittbrettfahrer und große Systeme
Jede Gruppe hat Trittbrettfahrer. Kleine Organisationen spüren die Last sofort, große verlieren schleichend ihre Leistungsfähigkeit. Kontrolle ist daher notwendig – insbesondere in großen Unternehmen. Ein blindes Vertrauen funktioniert hier nicht.
Vertrauensbildung im Alltag
- Redlichkeit: Kleine Tricks und Finten vermeiden.
- Deutlichkeit: Konflikte offen ansprechen, klare Position beziehen.
- Belastungsproben: Vertrauen entsteht in herausfordernden Situationen, nicht nur in Schönwetterzeiten.
- Frühzeitige Kommunikation: Probleme sofort benennen, nicht warten, bis der Schaden entsteht.
Beispiel: Ein Mitarbeiter meldet frühzeitig, dass ein Ziel nicht erreicht werden kann – das erhöht das Vertrauen. Verschweigt er es bis zum Termin, sinkt sein Kontostand auf dem Vertrauenskonto dramatisch.
Vertrauenskultur in Teams
- Regeln konsequent einhalten und Verstöße sanktionieren.
- Kleine Gewinne durch Unredlichkeit verhindern, um die Motivation der anderen nicht zu untergraben.
- Top-Management hat die Schlüsselrolle: konsequente „Tit-for-Tat“-Strategie sorgt für nachhaltiges Vertrauen.
Fazit
Vertrauen wächst nicht über Nacht. Es entsteht durch Redlichkeit, Transparenz, klare Kommunikation und konstruktive Konfliktbewältigung. Wer diese Grundsätze verinnerlicht und konsequent lebt, schafft ein Umfeld, in dem gegenseitiges Vertrauen tatsächlich möglich ist – realistisch, belastbar und nachhaltig.
Quellen:
Vertrauen: Psychologie, Beziehung + Wie aufbauen?
Vertrauen: 5 Zeichen, dass jemand vertrauenswürdig ist - Psychologie Heute
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