Die wunderliche Welt des Grüns – vom giftigen Glamour bis zur Farbe des Lebens

Alexandra Abredat

Es war einmal ein Österreicher namens Ignaz Edler von Mitis (1771-1842), der im Jahr 1805 beim Herumexperimentieren mit Grünspan auf etwas stieß, das zugleich strahlend und gefährlich war. Ein Pigment, das in seiner Farbe so leuchtend erschien wie ein frisch geschlüpftes Küken und in seiner chemischen Wirkung so heimtückisch wie ein Drache, der nachts durch ein Kinderzimmer schleicht. Man nannte es zunächst Mitisgrün. Doch wie es im Märchen so ist, musste diese Entdeckung erst den richtigen Ort finden, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Dieser Ort war Schweinfurt, und Wilhelm Sattler, der um 1808 die industrielle Produktion des Pigments begann, brachte Mitisgrün zum Glänzen. Schweinfurter Grün, wie es später bekannt werden sollte, war geboren.

Dieses Grün war mehr als nur ein dekoratives Element. Es leuchtete, glänzte und hatte die Fähigkeit, Tapeten, Stoffe und Künstlerpaletten zum Strahlen zu bringen. Ballkleider glitzerten smaragdgrün im Kerzenschein, französische Impressionisten tauchten Himmel und Bäume in ein Funkeln, das die Welt in ein magisches Licht tauchte. Doch hinter dieser Schönheit lauerte eine Gefahr. Bereits 1844 wies der Arzt Carl von Basedow nach, dass ein kleiner Pilz, der sich auf leimgebundenem Schweinfurter Grün ansiedelte, organische Arsenverbindungen freisetzen konnte, genug, um die Atemluft zu vergiften. Kein Wunder also, dass die Verwendung dieses Pigments in Wohnräumen bereits 1882 verboten wurde.

Die Farbe selbst war ein Chamäleon. Sie hatte viele Namen, die in den Salons und Werkstätten Europas kursierten: Pariser Grün, Patentgrün, Wiener Grün, Papageiengrün, Kaisergrün. Manche nannten sie schlicht Giftgrün, andere verbanden sie gar mit historischen Spekulationen über den Tod Napoleons auf Sankt Helena. Moderne Untersuchungen aus dem Jahr 2008 beruhigten jedoch die Gemüter: Das Pigment war wohl unschuldig, Napoleons Haar enthielt schon vorher Arsen, und Schweinfurter Grün hatte ihm lediglich eine dramatische Note verliehen.

Die Herstellung des Pigments war eine kleine chemische Zauberei. Grünspan und Arsen wurden zusammengekocht, zunächst entstand ein flockiger, schmutzig-grüner Niederschlag, der wenig glamourös wirkte. Doch nach einigen Tagen bildeten sich mikroskopisch kleine Kristalle, die in allen Nuancen von Grün funkelten. Wer wollte, konnte das Pulver noch weiter sieden, bis die Farbe besonders deckend wurde. Perfekt für Öl- und Lackfarben, weniger geeignet für Tapeten, aber umso wirksamer, um Gemälde und Stoffe in leuchtenden Grüntönen zu verzaubern.

Wer mit der Farbchemie vertraut war, konnte Schweinfurter Grün noch vielseitiger einsetzen. Mischt man es mit Gips, Bleiweiß oder Chromgelb, entstanden neue Nuancen mit eigenen Namen: Berggrün, Mitisgrün, Papageigrün, Maigrün – fast achtzig Varianten waren überliefert. Jede Nuance schien ihre eigene Persönlichkeit zu besitzen, und die Künstler liebten diese Vielfalt, die es ihnen erlaubte, Stimmungen und Licht in immer neuen Grüntönen zu malen.

Trotz seiner Schönheit war Schweinfurter Grün ein gefährlicher Begleiter. Sein Glanz lockte, aber seine chemische Natur bedrohte Leben. Heute mag man meinen, dass Schweinfurter Grün längst aus der Welt verschwunden sei, doch es taucht noch immer auf, leise und heimlich. In Museen und Bibliotheken, in alten Gemälden und Einbänden historischer Bücher, in restaurierten Räumen oder bei der Rekonstruktion alter Tapeten findet sich das Grün, das einst ganze Salons erleuchtete. Wer es heute betrachtet, sollte Vorsicht walten lassen, denn auch wenn es längst keinen Tod mehr bringt, erinnert seine Geschichte an die feine Grenze zwischen Schönheit und Gefahr, zwischen Kunst und Chemie.


Nachdem das Schweinfurter Grün seinen giftig-glänzenden Auftritt hinter sich hat, lohnt sich ein Blick auf das große Ganze: das Grün an sich. Diese Farbe, die sich so unschuldig gibt wie eine Frühlingswiese nach Regen, ist in Wahrheit ein kleines optisches Wunder. Grün erscheint uns nur dann, wenn Licht unser Auge mit Wellenlängen zwischen 520 und 565 Nanometern kitzelt. Ganz gleich, ob dieses Licht direkt von einer Lampe kommt oder von einer Oberfläche fröhlich zurückgeworfen wird – mindestens eine Handvoll Photonen muss in diesem Spektralbereich tanzen, damit wir „Ah, Grün!“ rufen.

Das Wort „grün“ stammt vom althochdeutschen gruoen, und das hieß so viel wie „wachsen“, „sprießen“ und „gedeihen“. Alles das, was man im Frühjahr beobachten kann, wenn die Natur aus einem langen Winterschlaf erwacht und in die Farbtöpfe greift. Kein Wunder also, dass Grün in so vielen Kulturen die Farbe der Hoffnung ist – wer wächst, hat schließlich Pläne.

In der Magie der Farbenlehre ist Grün eine der Grundfarben der additiven Farbmischung, neben Rot und Blau, und in der subtraktiven Farbmischung entsteht es, wenn Gelb und Cyan gemeinsame Sache machen. Während Grün fröhlich funkelt, lauert am Rand des Farbkreises sein Gegenspieler: Magenta, die Komplementärfarbe, mit der Grün sich gerne harmonisch oder dramatisch zofft, je nach Laune des Designers. Wer das Grün lieber in festen Formen bewundert, begegnet einer unendlichen Vielfalt an Schattierungen, von giftigen bis zu sanften Tönen, die Künstler, Designer und Naturbewunderer gleichermaßen verzaubern.

Warum ist die Welt voller Grün? Schuld daran ist das Chlorophyll, das Pflanzenblut, das genau die roten und blauen Lichtanteile verschluckt, aber das Grün fröhlich zurücklässt. Deshalb strahlen Kastanien im Frühling, Walnussbäumchen im Garten und ganze Wälder im Sommer in allen Schattierungen von grasig bis dunkelgründelnd. Sobald der Herbst Einzug hält, gibt das Chlorophyll das Feld frei, und plötzlich stehen Gelb und Rot im Rampenlicht. Und im Winter? Da müssen wir uns mit Tannengrün trösten – dem letzten Tapferen, das die Farbflagge im Dezember hochhält.

Grün ist nicht nur die Farbe der Natur, sondern auch ein Träger von Emotionen. Es steht seit alten Zeiten für Liebe im Aufblühen, und wenn jemand „ergrünt“, geht es meistens um Gefühle. Grün kann aber auch Misstrauen und Ablehnung symbolisieren, wie die Redensart „jemandem nicht grün sein“ zeigt. Dazu kommen noch die unreifen Früchte, die der Sprache die Worte „Grünschnabel“ und „grün hinter den Ohren“ geschenkt haben. Und natürlich Shakespeares berühmte „green-eyed jealousy“, die Eifersucht in funkelnden Augen beschreibt. Ironischerweise sind grüne Augen biologisch gar nicht grün. Sie entstehen durch eine Mischung aus wenig Melanin im Stroma und gebrochenem blauen Licht, das durch die Iris reflektiert wird, ein kleines Naturwunder, das die Illusion von Farbe erzeugt.

Die Pigmente der grünen Welt waren für die Menschheit immer ein besonderes Geschenk, aber auch eine Gefahr. In der Malerei dienten Chromoxide, basisches Kupferkarbonat, Kobaltverbindungen sowie Mineralien wie Malachit, Chrysokoll oder Dioptas dazu, die Welt in Grün zu tauchen. Die sanften, erdigen Töne von Veroneser Grün oder Böhmischer Erde begleiteten Künstler über Jahrhunderte, während Schweinfurter Grün als glamouröses und zugleich giftiges Abenteuer in dieser Palette thronte.

Doch Grün ist nicht immer Pigment. Ein Kolibri, der wie ein Edelstein glitzert, eine Goldwespe, die metallisch schimmert, Schmetterlingsflügel, die je nach Blickwinkel die Farbe wechseln – all dies sind Interferenzfarben. Die Oberflächen dieser Lebewesen sind oft gar nicht grün; sie spalten Licht in mikroskopischen Schichten und werfen es so zurück, dass unser Auge die Farbe wahrnimmt. Die Natur war schon immer die beste Designerin, und ihre kleinen Tricks sorgen dafür, dass wir das Grün als schillernd, lebendig und manchmal fast magisch erleben.

Auch als Symbol spielt Grün eine unermessliche Rolle. Im Umweltschutz wurde Chlorophyll zum Logo, und die politische Partei Die Grünen machte es zur Namensfarbe. Im Christentum steht Grün für Auferstehung, Hoffnung und liturgische Ruhe, im Islam symbolisierte es das Paradies und Leben, weil der Prophet Mohammed Grün bevorzugte. In China wird Grün mit Frühling und Osten assoziiert, während es in Technik und Bürokratie als Signalfarbe für Funktionstüchtigkeit und Ordnung dient. Grün weist den Weg, signalisiert Erlaubnis, markiert den ordnungsgemäßen Zustand von Maschinen und Geräten und erfüllt selbst in der Verkehrsführung die Rolle eines unsichtbaren Regulators.

Grün kann aber auch gefährlich sein. Die intensivsten und leuchtendsten Töne wurden in der Geschichte oft als Giftgrün bezeichnet. Schweinfurter Grün, Chromgrün und Kupferacetat waren frühe Beispiele für die faszinierende, aber gefährliche Seite des Farbreizes. Übertragen auf die Symbolik steht Grün für Leben, aber auch für Krankheit, Gier und Neid, was sich in Redewendungen wie „grün vor Neid“ oder in der fahlen Gesichtsfarbe bei Krankheit ausdrückt.

Grün begleitet den Menschen in allen Bereichen des Lebens. British Racing Green macht seit dem frühen 20. Jahrhundert Autos schneller – zumindest optisch. Eisenbahnwagen waren jahrzehntelang grün lackiert, weil das Pigment robust, lichtbeständig und wirtschaftlich war. Im Operationssaal schützt grüne Kleidung die Augen der Chirurgen vor Nachbildern, während Armeen grüne Tarnkleidung einsetzen, um sich in die Vegetation zu schmiegen. Selbst Rotweinflaschen tragen grünes Glas, um ihren wertvollen Inhalt vor schädlichem Licht zu schützen.

Die alte Welt wusste schon früh um die Macht des Grüns. In Ägypten galt Grün als Farbe der Regeneration und der Götterwelt, und Osiris wurde oft in Grün dargestellt, um Leben und Wiedergeburt zu symbolisieren. Die Römer verbanden Grün mit Venus, ihren Gärten und Weinbergen, und die Romantikbewegung im 18. und 19. Jahrhundert erhob Grün zur Farbe der Sehnsucht, Ruhe und Erholung. Goethe empfahl sogar grüne Schlafzimmerwände, um den Geist zu beruhigen. Im 20. Jahrhundert schließlich wurde Grün zum Symbol für Politik, Nachhaltigkeit und Umweltschutz, wo es die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft verkörpert.



Grün ist eine Farbe, die Geschichten erzählt, die Natur und Kultur verbindet, Leben und Tod, Schönheit und Gefahr in sich trägt. Es kann das Auge erfreuen, das Herz beruhigen, den Verstand warnen und gleichzeitig Träume inspirieren. Von den giftigen, funkelnden Kristallen des Schweinfurter Grüns über die sanften Blätter der Wälder bis hin zu den metallisch schimmernden Flügeln eines Kolibris – Grün ist überall. Es wächst, es gedeiht, es verzaubert. Wer genau hinsieht, entdeckt in jedem Ton, jedem Lichtspiel, jeder Nuance eine Geschichte, die so alt ist wie die Zivilisation selbst und doch immer wieder neu erzählt wird.


Quellen:

Die Farbe Grün in der Natur und Kunst | Adobe Express

Grün – Wikipedia

Die Geschichte des Schweinfurter Grün

Schweinfurter Grün – Wikipedia

11_BBA_Bd11_1992_DieHerstellungundVerarbeitungvonSchweinfurterGruen_197-205.pdf


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Wer heute nach Teamregeln, Führungstools oder Kooperationsmodellen sucht, landet schnell bei Flipcharts, Moderationskarten und englischen Buzzwords. Die Natur war da deutlich früher – und erheblich effizienter. Lange bevor Menschen begannen, über Zusammenarbeit nachzudenken, hatten Tiere sie bereits perfektioniert. Nicht aus Nettigkeit, sondern aus Notwendigkeit. Teamverhalten ist in der Natur kein Wohlfühlkonzept, sondern eine Überlebensstrategie. Und genau deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Als Naturcoach und psychologische Beraterin fasziniert mich dabei weniger die romantische Vorstellung vom harmonischen Tierteam, sondern die ehrliche Realität: Tiere kooperieren, wenn es sinnvoll ist. In meiner Arbeit nutze ich genau solche Beobachtungen aus der Natur, um Teams einen Perspektivwechsel zu ermöglichen – jenseits von Methoden und Modellen. Beginnen wir mit einer der eindrucksvollsten Teamleistungen der Vogelwelt: dem Starengemurmel. Tausende Stare bewegen sich dabei wie eine einzige, atmende Masse durch den Himmel. Kein Anführer, kein Regisseur, kein zentrales Kommando – und doch absolute Synchronität. Der Grund ist denkbar pragmatisch: Raubvögel wie Falken können sich kaum auf ein einzelnes Ziel konzentrieren. Der Schwarm schützt jedes einzelne Tier durch pure Kooperation. Kein Vogel ist wichtiger als der andere, und genau das macht alle sicherer. Ein Prinzip, das auch in menschlichen Teams erstaunlich gut funktioniert – zumindest solange niemand versucht, sich dauerhaft in den Mittelpunkt zu drängen. Ähnlich klar organisiert ist die Zusammenarbeit bei Wölfen – allerdings weniger hierarchisch, als lange angenommen wurde. Moderne Verhaltensforschung zeigt: Ein Wolfsrudel ist meist eine Familiengemeinschaft, bestehend aus einem Elternpaar und dessen Nachwuchs. Entscheidungen entstehen oft situativ und kooperativ. Das berühmte Heulen ist kein Ausdruck von Romantik, sondern ein hochfunktionales Kommunikationsmittel. Wölfe heulen, um sich zu sammeln, um Kontakt zu halten, um Zugehörigkeit zu klären. Gejagt wird gemeinsam, aber nicht nach starren Befehlen, sondern mit flexiblen Rollen, die sich je nach Situation und Erfahrung der Tiere verändern. Führung ist hier kein Dauerstatus, sondern eine Aufgabe auf Zeit – übernommen von dem Tier, das gerade die besten Voraussetzungen mitbringt. Das spart Energie. Und erstaunlich viele Konflikte. Auch Ameisen sind Meisterinnen der effizienten Zusammenarbeit – und das ganz ohne Chefetage. Besonders faszinierend ist ihr sogenannter Tandemlauf. Dabei führt eine erfahrene Ameise eine andere gezielt zu einer Nahrungsquelle. Die Geführte bleibt durch ständigen Kontakt in der richtigen Richtung, lernt den Weg und kann ihn später selbstständig nutzen. Wissen wird nicht abstrakt vermittelt, sondern im Tun weitergegeben. Viele moderne Führungskräfte würden dafür ein Tagesseminar buchen. Manche Tierarten treiben Teamarbeit sogar in eine ästhetische Dimension. Flamingos etwa versammeln sich zu Tausenden und führen synchronisierte Gruppentänze auf. Beine heben, drehen, schreiten – alles gleichzeitig. Das sieht spektakulär aus, erfüllt aber einen klaren Zweck: Es stärkt den Zusammenhalt und spielt eine zentrale Rolle bei der Partnerwahl. Wer aus dem Takt gerät, fällt auf. Auch Delfine sind bekannt für ihre synchronen Bewegungen. Sie schwimmen abgestimmt, führen gemeinsame Pirouetten aus, helfen verletzten Artgenossen und lösen Probleme kooperativ. Empathie ist hier kein sentimentaler Zusatz, sondern Teil der Überlebensstrategie. Besonders spannend wird Zusammenarbeit dort, wo sie Artgrenzen überschreitet. In der Natur nennt man das Symbiose – Zusammenleben zum gegenseitigen Vorteil. Ein klassisches Beispiel ist die Beziehung zwischen Clownfisch und Seeanemone. Die Anemone ist mit giftigen Nesselkapseln bewaffnet, die selbst große Räuber vertreiben. Der Clownfisch jedoch lebt geschützt zwischen ihren Tentakeln, da seine Haut chemisch so getarnt ist, dass die Anemone ihn nicht als Fremdkörper erkennt. Im Gegenzug vertreibt der Clownfisch Fressfeinde der Anemone. Schutz gegen Verteidigung. Klarer Deal, klare Rollen. Auch Wölfe arbeiten artübergreifend – etwa mit Kolkraben. Die Vögel entdecken aus der Luft Kadaver oder verletzte Tiere, die Wölfe öffnen mit ihren Zähnen die dicke Haut. Erst dann können beide fressen. Ohne Absprache, aber mit gegenseitigem Nutzen. Vertrauen entsteht hier nicht aus Sympathie, sondern aus Erfahrung. Im Korallenriff übernehmen Putzerfische die Rolle mobiler Zahnärzte. Große Fische öffnen bereitwillig ihr Maul und lassen Parasiten und Essensreste entfernen. Eine riskante, aber lohnende Kooperation. Allerdings gibt es Betrüger: Fische, die sich als Putzer tarnen, zubeißen und fliehen. Die Folge ist Misstrauen. Manche Räuber fressen lieber den Putzerfisch, als sich auf die Reinigung einzulassen. Auch das ist Natur: Kooperation braucht Verlässlichkeit – sonst endet sie abrupt. Nicht jede Symbiose ist so ausgewogen, wie sie lange schien. Beim Madenhacker etwa, der auf Antilopen, Büffeln oder Nashörnern sitzt, zeigte sich erst spät: Er frisst nicht nur Parasiten, sondern oft auch Fleisch aus offenen Wunden. Die Beziehung nützt häufig mehr dem Vogel als dem Säugetier. Zusammenarbeit ist also nicht automatisch fair. Ein wichtiger Hinweis für alle, die Teamarbeit idealisieren. Dass Kooperation sogar hochgradige kognitive Leistungen erfordert, zeigen aktuelle Forschungen zur gemeinsamen Jagd von Oktopussen und Rifffischen. Der Biologe Eduardo Sampaio und sein Team konnten nachweisen, dass diese Tiere ihr Verhalten flexibel aufeinander abstimmen. Die Fische zeigen dem Oktopus versteckte Beute, der Oktopus scheucht sie heraus oder umschlingt sie mit seinen Armen. Wer die Zusammenarbeit ausnutzt, riskiert Sanktionen. Kooperation erfordert Wahrnehmung, Lernen – und soziale Kontrolle. Besonders aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen Wolf und Hund. Obwohl Hunde als besonders kooperativ gelten, schneiden sie in Tests zur Zusammenarbeit mit Artgenossen schlechter ab als Wölfe. In Experimenten, bei denen zwei Tiere gleichzeitig an einem Seil ziehen mussten, um an Futter zu kommen, warteten Wölfe geduldig aufeinander und koordinierten ihr Handeln. Hunde agierten häufiger individuell. Die Erklärung ist simpel und unbequem: Hunde sind auf Kooperation mit Menschen selektiert – nicht mit ihresgleichen. Teamfähigkeit ist also keine Selbstverständlichkeit, sondern kontextabhängig. Ein Extrembeispiel für kompromisslose Zusammenarbeit liefern Nacktmulle. Blind, haarlos und fast schmerzunempfindlich leben sie in Kolonien von bis zu 300 Tieren unter der Erde. Es gibt eine Königin, Arbeiter und Soldaten, klare Aufgaben und sogar eigene Dialekte. Effizienz und Spezialisierung sind hier perfekt – individuelle Freiheit spielt keine Rolle. Bewundernswert, ja. Erstrebenswert für menschliche Teams? Eher nicht. Denn natürlich hat Zusammenleben auch Nachteile. Konkurrenz um Nahrung, Rangkämpfe, Krankheiten und Parasiten gehören ebenso dazu. Tiergruppen müssen ständig abwägen, ob Kooperation sich lohnt. Gruppengröße, Verwandtschaft, Lebensraum und Jahreszeit entscheiden darüber, ob Teamarbeit Vorteile bringt oder zur Belastung wird. Und genau hier liegt die wichtigste Lehre für uns Menschen: Gute Teams entstehen nicht aus Harmonieversprechen, sondern aus Klarheit. Klare Kommunikation, verlässliche Rollen, gegenseitiger Nutzen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Tiere zeigen uns nicht, wie man nett zusammenarbeitet – sondern wie man wirksam zusammenlebt. Vielleicht ist das der größte Mehrwert der Natur für Coachingprozesse: Sie erlaubt uns, Teamverhalten jenseits von Moral und Ideologie zu betrachten. Ehrlich, funktional und oft erstaunlich humorvoll. Denn manchmal reicht ein Blick ins Starengemurmel, um zu erkennen: Wenn alle versuchen, der Falke zu sein, wird das Team sehr schnell sehr klein. Quellen: Teamwork - 3sat-Mediathek Symbiose: Warum sich Tierarten zusammentun - [GEOLINO] Tiere als Teamplayer: Was wir von ihnen für die Zusammenarbeit im Job lernen können - Heidrun Jürgens Personaldienstleistungen Tierische Allianzen | campus.kn Wölfe sind die besseren Teamplayer - wissenschaft.de Wie leben Tiere zusammen - VRM Wochenblätter Natho, F. (2005). Die Lösung liegt im Team. Handbuch zur Arbeit mit der Skalierungsscheibe. Dessau: Gamus. Frank Natho systhema 3/2007 · 21. Jahrgang · Seite 357-370
von Alexandra Abredat 14. Dezember 2025
Wenn der Herbst die Gärten leiser macht und die letzten Blüten verblassen, beginnt für Schmetterlinge eine Zeit der Entscheidung. An milden Oktobertagen sitzt vielleicht noch ein Zitronenfalter reglos im Laub, als hätte ihn jemand vergessen. Kein Flattern, kein Suchen nach Nektar – nur Stille. Während wir Fenster schließen und Jacken hervorholen, prüfen Schmetterlinge ihre Optionen: bleiben oder gehen, erstarren oder reisen, sich verbergen oder verwandeln. Die meisten verschwinden aus unserem Blickfeld – und genau hier beginnt das große Missverständnis. Denn Schmetterlinge sind im Winter keineswegs verschwunden. Sie sind nur anders da: als Ei, als Raupe, als Puppe, als scheinbar lebloser Falter im Verborgenen oder auf dem Weg in den Süden. Bleiben oder gehen – die erste Entscheidung Nicht alle Schmetterlinge stellen sich dem Winter in Deutschland. Einige wählen den radikalsten Weg: die Flucht. Zu diesen sogenannten Wanderfaltern gehören Admiral, Distelfalter, Taubenschwänzchen oder Windenschwärmer. Sie verlassen Mitteleuropa im Herbst und ziehen Richtung Südeuropa oder sogar bis nach Afrika. Dabei legen sie Strecken von mehreren hundert bis zu über zweitausend Kilometern zurück. Orientierung bieten ihnen Sonnenstand, Landschaftsstrukturen und das Erdmagnetfeld. Der Winter wird also nicht „überstanden“, sondern schlicht umgangen. Erst ihre Nachkommen oder zurückkehrende Generationen tauchen im Frühjahr wieder bei uns auf. Diese Wanderungen sind keine romantischen Ausflüge, sondern eine nüchterne energetische Entscheidung: Wo es keine Nahrung gibt, lohnt sich kein Verharren. Ausharren als Falter – Überwintern im Stillstand Nur wenige unserer heimischen Tagfalter überstehen den Winter als ausgewachsener Schmetterling. In Baden-Württemberg sind es lediglich sechs Arten: Tagpfauenauge, Kleiner und Großer Fuchs, C-Falter, Trauermantel und der Zitronenfalter. Sie suchen im Spätherbst geschützte Orte auf – Baumhöhlen, Felsspalten, Holzschuppen, Scheunen, Keller oder Dachböden. Dort hängen sie reglos, oft kopfüber, und fallen in eine Winterstarre. Winterstarre bedeutet: Der Stoffwechsel wird auf ein Minimum heruntergefahren, Bewegung eingestellt, Energie gespart. Jeder unnötige Reiz kostet Reserven. Genau hier lauert eine der größten Gefahren durch den Menschen: die sogenannte Wärmefalle. Steigt die Umgebungstemperatur dauerhaft über etwa zwölf Grad – etwa durch eine Heizung – erwachen die Falter. Sie flattern umher, verbrauchen Energie, finden aber keine Nahrung. Bleiben sie in der Wärme, verhungern sie. Setzt man sie unbedacht ins Freie, droht der Kältetod. Entscheidend ist daher ein kühler, frostfreier Ort mit der Möglichkeit, im Frühjahr wieder ins Freie zu gelangen. Der Sonderfall Zitronenfalter – Frostschutz aus eigener Produktion Der Zitronenfalter nimmt unter den heimischen Arten eine Sonderstellung ein. Er überwintert als einziger mitteleuropäischer Schmetterling ungeschützt im Freien, oft im trockenen Laub am Boden oder am Fuß von Bäumen. Möglich macht das ein körpereigenes Frostschutzsystem: Durch die Anreicherung seiner Körperflüssigkeiten mit Glycerin, Sorbit und Eiweißen senkt er den Gefrierpunkt so stark ab, dass Temperaturen bis minus zwanzig Grad überstanden werden können. Selbst schneebedeckte Zitronenfalter wurden schon gefunden – reglos, aber lebendig. Diese Fähigkeit erklärt auch sein ungewöhnlich langes Leben: Während viele Falter nur wenige Wochen leben, kann der Zitronenfalter fast ein Jahr alt werden. Er legt lange Ruhephasen ein – im Sommer wie im Winter – und startet im Frühjahr oft als einer der ersten Schmetterlinge in die neue Saison. Verwandlungspause – Winter als Entwicklungszeit Für die Mehrheit der Schmetterlinge gilt jedoch: Nicht das erwachsene Tier überlebt den Winter, sondern der Lebenszyklus. Viele Arten sterben im Herbst nach der Fortpflanzung. Gesichert wird nicht das Individuum, sondern die nächste Generation. Ein Teil der Arten überwintert als Puppe. Schwalbenschwanz, Aurorafalter oder Landkärtchen sind dann gut geschützt in einer Chitinhülle, angeheftet an Pflanzenstängeln, verborgen im Boden oder eingesponnen in Kokons. Andere Arten gehen als Raupe in den Winter – etwa Bläulinge, Schillerfalter oder das Schachbrett. Manche verkriechen sich unter Rinde oder Laub, andere bauen sich spezielle Gespinste, sogenannte Hibernarien. Wieder andere harren nahezu schutzlos an ihren Futterpflanzen aus. Auch das Ei kann ein Winterquartier sein, etwa beim Apollofalter oder Nierenfleck-Zipfelfalter. Winzig, unscheinbar und erstaunlich widerstandsfähig trotzen diese Entwicklungsstadien Frost, Trockenheit und Zeit. Energie sparen um jeden Preis Allen Strategien gemeinsam ist ein zentrales Prinzip: Energie. Im Winter gibt es keine Blüten, keinen Nektar, kaum Möglichkeiten zur Nahrungsaufnahme. Deshalb wird gespart, gedrosselt, stillgelegt. Jede Störung – Bewegung, Wärme, falsches Umsetzen – kann den fein austarierten Energiehaushalt kippen. Der Winter ist für Schmetterlinge keine Schlafenszeit, sondern ein biologischer Ausnahmezustand. Klimawandel – wenn der Winter aus dem Takt gerät Zunehmend problematisch sind milde Winterphasen. Warme Tage im Februar oder März können überwinternde Falter aus der Starre holen. Sie erwachen, finden jedoch noch keine Nahrung. Kommt danach erneut Frost, überleben viele diese zweite Kältephase nicht. Der Klimawandel verändert damit nicht nur Temperaturen, sondern ganze Zeitpläne – und stellt besonders überwinternde Falter vor neue Risiken. Was wir tun können – helfen durch Nichtstun Der wichtigste Beitrag des Menschen ist oft Zurückhaltung. Wer überwinternde Falter entdeckt, sollte sie nicht stören. Gärten profitieren von Unordnung: liegen gelassenes Laub, stehen gelassene Stängel, Reisig- und Steinhaufen bieten lebenswichtige Winterquartiere. Gartenhäuser, Schuppen oder unbeheizte Garagen können helfen – vorausgesetzt, sie bleiben kühl und bieten im Frühjahr einen Ausgang ins Freie. Findet man einen Falter in einem beheizten Raum, ist behutsames Umsiedeln gefragt: vorsichtig in eine Pappschachtel setzen, kühl und frostfrei unterbringen, Flügel niemals berühren. Und im Frühling: Türen, Fenster und Luken öffnen. Wenn dann die ersten sonnigen Tage kommen und ein Zitronenfalter gelb durch den noch kahlen Garten flattert, ist das kein Wunder. Es ist das sichtbare Ende eines langen, stillen Winters – und der Beweis, dass Überleben manchmal vor allem eines braucht: Ruhe. Sonderfall Winterliebe: Der Frostspanner Während die meisten Schmetterlinge den Winter meiden, verschlafen oder in andere Entwicklungsstadien auslagern, gibt es Arten, die der Kälte bewusst entgegentreten. Ein besonders anschauliches Beispiel sind die Frostspanner. Wer im Spätherbst oder frühen Winter nachts durch Wälder oder an Baumreihen entlangfährt, kann sie im Lichtkegel der Scheinwerfer entdecken: kleine, helle Falter, die scheinbar unbeeindruckt von Frost und Dunkelheit umherflattern. Biologisch betrachtet ist dieses Verhalten ebenso kühn wie klug. Beim Kleinen Frostspanner (Operophtera brumata) und beim Großen Frostspanner (Erannis defoliaria) erscheinen die erwachsenen Falter erst sehr spät im Jahr – meist ab November, manchmal sogar noch bei leichtem Frost. Die Männchen sind flugfähig und auf nächtlicher Suche nach Weibchen, die hoch oben in den Baumkronen sitzen. Diese wiederum besitzen keine Flügel. Stattdessen klettern sie an Baumstämmen empor und senden von dort intensive Sexualduftstoffe aus, sogenannte Pheromone, die die Männchen zuverlässig anlocken. Der Winter bietet den Frostspannern dafür ideale Bedingungen. Viele ihrer natürlichen Feinde sind zu dieser Jahreszeit nicht aktiv: Fledermäuse halten Winterruhe, Zugvögel sind längst im Süden, und auch die Konkurrenz anderer Nachtfalter ist minimal. Kälte wird hier nicht zum Hindernis, sondern zur strategischen Bühne für die Fortpflanzung. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre winzigen Eier gut versteckt in Rindenritzen ab. Die erwachsenen Tiere selbst leben nur wenige Tage; ihre Mundwerkzeuge sind verkümmert, Nahrung nehmen sie nicht mehr auf. Im Frühjahr schlüpfen die Raupen pünktlich zum Blattaustrieb. Vor allem die grünen Raupen des Kleinen Frostspanners sind dann gefräßig und können Bäume zeitweise kahl fressen – ein Anblick, der dramatischer wirkt, als er ist. Die meisten Gehölze treiben problemlos wieder aus. In naturnahen Gärten regulieren Vögel wie Kohlmeisen den Raupenbestand ganz von selbst. Eine weitere Besonderheit verbindet die Frostspanner mit anderen Überwinterungsstrategen der Insektenwelt: In ihren ersten Lebenstagen lassen sich die Jungraupen mithilfe feiner Seidenfäden vom Wind verdriften. Dieses sogenannte „Ballooning“ sorgt dafür, dass sich die nächste Generation im Lebensraum verteilt – ein leiser, luftiger Neuanfang nach einem Winter, der für ihre Eltern das Ende bedeutete. Der Frostspanner zeigt damit eindrucksvoll, dass Überwinterung nicht immer Rückzug oder Starre bedeutet. Manchmal heißt sie auch: hinausgehen in die Kälte, wenn sonst niemand mehr unterwegs ist – und genau dort erfolgreich sein. Quellen: Schmetterlingen in der Wohnung helfen Überwinterung der Schmetterlinge, NABU Baden-Württemberg Wie überwintern Schmetterlinge? - Plantura Schmetterlinge überwintern: Hier finden sie ein Winterquartier | kraut&rüben Schmetterlinge im Winter - NABU NRW Frostspanner: Duftendes Liebeswerben in kalten Nächten - NABU aktion tier – Menschen für Tiere e.V.: Überwinterungsstrategien unserer Schmetterlinge und wie man ihnen helfen kann
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