Brennnessel – Heilpflanze, Aphrodisiakum, Zaubermittel und mehr

Alexandra Wizemann

Brennnesseln werden allgemein als lästiges Unkraut angesehen. Aber sie bieten deutlich mehr...

Brennnesseln werden allgemein als lästiges Unkraut angesehen. Sie hinterlassen bei Kontakt juckende Pusteln auf der Haut und sind besonders lästig, wenn man mit kurzen Hosen durch die Natur streift. Dennoch ist die Brennnessel eine sehr nützliche Pflanze, die gerne in Küche, Naturheilkunde und im Garten eingesetzt wird. [1]

Die Brennnessel ist ein echter Kosmopolit, denn die Gattung Urtica ist fast weltweit verbreitet, lediglich in der Antarktis kommen keine Arten vor. Im deutschsprachigen Raum kommen vier Brennnessel-Arten vor: Die bekanntesten sind die zweihäusige Große Brennnessel (Urtica dioica) und die einhäusige Kleine Brennnessel (Urtica urens); außerdem existieren hier noch die Röhricht-Brennnessel (Urtica kioviensis) und die aus dem Mittelmeerraum eingeschleppte Pillen-Brennnessel (Urtica pilulifera), deren gelegentliche mitteleuropäische Vorkommen auf die Kulturflucht aus Kräutergärten zurückzuführen ist, in denen sie wegen ihrer schleimigen Samen kultiviert wurde. [2]

Der Gattungsname Urtica stammt vom lateinischen urere = brennen. Der zweite Teil des Wortes Brennnessel geht auf eine Gestalt der griechischen Mythologie zurück: Nessos. Nessos ist ein Kentaur  in der griechischen Mythologie. Dieses Wesen – eine Mischung aus Pferd und Mensch begehrte die Frau des Harakles . So entführte also der Kentaur Nessos die schöne Deianeira , worauf Herakles ihn tötete.


Vorkommen

Sowohl die Große als auch die Kleine Brennnessel haben ihren Ursprung in Mitteleuropa. Da beide einen recht hohen ökologischen Toleranzbereich haben, sind sie heute bis weit nach Asien, Nordeuropa und Nordamerika verbreitet. Gelegentlich sind die Pflanzen auch in Südeuropa verwildert anzutreffen, wenngleich dort nur vereinzelt.

Brennnesseln sind überall dort anzutreffen, wo nährstoffreiche bzw. stickstoffreiche Böden mit ausreichender Feuchtigkeit vorhanden sind. Die Pflanze gilt als Stickstoffanzeiger. Sie ist häufig an Waldrändern, stickstoffreichen Brachflächen, an Rändern von Kulturparks oder in der Nähe von Teichen, Tümpeln und Flussrändern verwildert zu finden. Dort bilden sie meist regelrechte Brennnesselfluren, die oft zusammen mit Giersch auftreten. [3]


Vegetative Merkmale

Brennnessel-Arten wachsen als einjährige oder ausdauernde krautige Pflanzen, selten auch Halbsträucher. Sie erreichen, je nach Art, Standort und Nährstoffsituation, Wuchshöhen von 10 bis 300 Zentimetern bei den in Mitteleuropa vertretenen Arten. Die ausdauernden Arten bilden Rhizome als Ausbreitungs- und Überdauerungsorgane. Die grünen Pflanzenteile sind mit Brenn- sowie Borstenhaaren besetzt. Ihre oft vierkantigen Stängel sind verzweigt oder unverzweigt, aufrecht, aufsteigend oder ausgebreitet. Die meist kreuzgegenständig am Stängel angeordneten Laubblätter sind gestielt. Die Blattspreiten sind elliptisch, lanzettlich, eiförmig oder kreisförmig. Die Blattspreiten besitzen meist drei bis fünf, selten bis zu sieben Blattnerven. Der Blattrand ist meist gezähnt bis mehr oder weniger grob gezähnt. Die oft haltbaren Nebenblätter sind frei oder untereinander verwachsen. Die Zystolithen sind gerundet bis mehr oder weniger verlängert.

 

Brennhaare

Bekannt und unbeliebt sind die Brennnesseln wegen der schmerzhaften Quaddeln (Schwellungen), die auf der Haut nach Berührung der Brennhaare entstehen. Je nach Brennnesselart unterscheiden sich die Folgen, so ist beispielsweise die Brennflüssigkeit der Kleinen Brennnessel (Urtica urens) wesentlich schmerzhafter als die der Großen Brennnessel (Urtica dioica). Diese Brennhaare wirken als Schutzmechanismus gegen Fraßfeinde. Es sind lange einzellige Röhren, deren Wände im oberen Teil durch eingelagerte Kieselsäure hart und spröde wie Glas sind. Das untere, flexiblere Ende ist stark angeschwollen, mit Brennflüssigkeit gefüllt und in einen Zellbecher eingesenkt, die Spitze besteht aus einem seitwärts gerichteten Köpfchen, unter dem durch die hier sehr dünne Wand eine Art Sollbruchstelle vorhanden ist.[4]


Generative Merkmale

Sie sind je nach Art einhäusig (monözisch) oder zweihäusig (diözisch) getrenntgeschlechtig. In den Blattachseln stehen in verzweigten, rispigen, ährigen, traubigen oder kopfigen Gesamtblütenständen viele zymöse Teilblütenstände mit jeweils vielen Blüten zusammen. Die relativ kleinen, unauffälligen, immer eingeschlechtigen Blüten sind (selten zwei- bis sechs-) meist vier- bis fünfzählig. Die eingeschlechtigen Blüten sind etwas reduziert. Es sind meist vier (zwei bis fünf) Blütenhüllblätter vorhanden. Die männlichen Blüten enthalten meist vier (zwei bis fünf) Staubblätter. Der weiblichen Blüten enthalten einen Fruchtknoten, der zentral in der Blüte liegt und aus nur einem Fruchtblatt gebildet wird.[5]


Einige morphologisch ähnliche Arten

Die Arten der mit den Brennnesseln nicht verwandten Gattung der Taubnesseln (Lamium) sehen den Brennnesseln in Wuchs und Blattform sehr ähnlich, besitzen aber keine Brennhaare und sehr viel größere und auffälligere Blüten. Beim Zerreiben riechen sie auch vollkommen anders und die Nervatur der Taubnesselblätter wirkt eher wabenförmig. Die ebenfalls ähnlichen Blätter der Nesselblättrigen Glockenblume (Campanula trachelium) sind dagegen wechselständig.[6]


Bestäubung

Brennnessel-Arten sind windbestäubt. Wenn sich bei den männlichen Blüten die Blütenhüllblätter öffnen, schnellen ihre Staubblätter hervor; dabei wird explosionsartig eine Wolke von Pollen in die Luft geschleudert. Der Wind überträgt anschließend den Pollen auf die weiblichen Blüten. Die sitzenden, in den haltbaren inneren Blütenhüllblättern locker eingehüllten Nüsschen sind gerade, seitlich abgeflacht, eiförmig oder deltoid. Die aufrechten Samen enthalten wenig Endosperm und zwei fleischige, fast kreisförmige Keimblätter (Kotyledonen).[7]


Die Brennnessel als Zeigerpflanze

Ein starker Brennnesselwuchs gilt allgemein als Zeiger für einen stickstoffreichen Boden und bildet sich oft als Ruderalpflanze auf früher besiedelten Stellen aus. Eine große Anzahl Brennnesseln in einem Gebiet erlaubt es somit, auch ohne chemische Untersuchungen Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit zu ziehen. [8]

# Die Brennnessel ist ein Indikator für stickstoffreiche Böden.

# Zu viel Stickstoff macht Pflanzen anfälliger für Krankheiten.

# Ausgewaschene Stickstoffverbindungen können das Grundwasser belasten.

# Brennnesseln können ein erster Hinweis auf ein zukünftiges Absinken des Boden-pH-Wertes sein.

Obwohl die Brennnessel keine typische Zeigerpflanze für saure Böden (Boden-pH-Wert bis 6) ist, kann die Stickstoff liebende Brennnessel jedoch eine erste Indikatorpflanze für eine zukünftige Bodenübersäuerung durch zu viel Stickstoff sein. Für die allermeisten Pflanzen ist bei Böden mit mittlerem Humusgehalt ein Boden-pH-Wert von 5 bis 6 (sandige Böden), 5,5 bis 6,5 (lehmige Böden) und 6 bis 7 (tonige Böden) optimal.[9]


Lebensraum für Tiere

Besonders wichtig ist die Brennnessel als Futterpflanze für Raupen. Es gibt Schmetterlingsarten, wie die bekannten Tagfalterarten Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge, Admiral und Landkärtchen, deren Raupen sich ausschließlich von Brennnesseln ernähren.

# Die Raupen des Kleinen Fuchses sind an trockenen und sonnigen Stellen zu finden

# Das Tagpfauenauge mag es zwar gleichfalls sonnig, aber dennoch luftfeucht und bevorzugt daher Plätze an Gewässern.

Beide Arten benötigen überdies größere Brennnesselbestände.

# Der Admiral dagegen gibt sich schon mit Ansammlungen einiger weniger Pflanzen zufrieden und bevorzugt eher kümmerliche Brennnesseln. Hier sind die Blätter mit Fäden zu Tüten aufgerollt, in deren Schutz die Raupen tagsüber ruhen.

# Das Landkärtchen sucht sich die schattigsten Wuchsorte der Brennnessel aus, die oft großen und dichten Bestände in den fluss- und bachbegleitenden Auwäldern.

Auf fast jeder Brennnessel sind Fraßspuren einzelner Insekten zu finden. Dabei müssen diese eine Strategie entwickelt haben, mit der sie die Brennhaare umgehen. Sie fressen sich um die Haare herum und bevorzugen dabei die Wege entlang der Blattadern und der Blattränder, da sich dort keine Brennhaare befinden. Vorteilhaft für die Insekten: Das Gift dringt nicht aus der Spitze, wenn das Haar unten an der Wurzel angefressen wird. Für Marienkäferarten und viele andere Käfer dient die Brennnessel als Ort für die Jagd nach kleineren Insekten. Der Pflanzensaft ist ebenfalls Nahrung für Schaumzikaden und Wanzen sowie deren Nachwuchs.[10]


Verwendung

Die meisten der folgenden Aspekte beziehen sich auf die Große Brennnessel (Urtica dioica). Seit über 30.000 Jahren nutzen die Menschen Brennnesseln als Färberpflanze, Faserlieferanten, als Speise- und Heilpflanze, als Aphrodisiakum, als Zaubermittel, Ritualgewächs und Symbolträger. [11]

Die Brennnessel enthält in ihren Blättern einen Wirkstoff, der Bakterien in ihrem Wachstum hemmt. Früher gab man daher in frisch gemolkene Milch eine Handvoll Brennnesselblätter, um sie länger haltbar zu machen. Auch manche Lebensmittel wie Frischfleisch oder Fisch wurden früher in die Blätter von Brennnesseln eingewickelt aufbewahrt, um ihre Haltbarkeit zu verlängern. Brennnesseln enthalten mehr Vitamin C  als Zitrusfrüchte und sind zudem reich an Mineralien wie Eisen, Kalium und Magnesium und sekundären Pflanzenstoffen wie den Flavonoiden. Die Flavonoide sorgen zusammen mit dem Kalium für die entwässernde Wirkung der Blätter. Überraschenderweise sind Brennnesseln auch eiweißreich. 100 g frische Brennnesselblätter enthalten ähnlich viel Eiweiß wie die gleiche Menge frische Hülsenfrüchte, nämlich bis zu 8 g. Auch die Samen sind essbar und werden geröstet geknabbert.[12]


Färberpflanze

Färberpflanzen haben eine lange Tradition. Noch bevor Farben künstlich hergestellt werden konnten, malte und färbte man mit natürlichen Farbmitteln. Wolle kann man mit der Brennnessel Wurzel, nach Vorbeizen mit Alaun, wachsgelb färben. Mit einer Zinnvorbeize, Kupfernachbeize und einem Ammoniak-Entwicklungsbad erzielen die oberirdischen Teile ein kräftiges Graugrün. Man benötigt etwa 600 Gramm Brennnessel pro 100 Gramm Wolle; besonders bei der Brennnessel kann der Farbton vom Zeitpunkt des Pflückens und Färbens abhängen, deshalb ist die Technik bei Massenproduktion von Kollektionen in Vergessenheit geraten.[13]


Fasernessel

Die Fasernessel (Urtica dioica L. convar. fibra) ist eine Konvarietät der Großen Brennnessel (Urtica dioica). Sie wurde zwischen 1927 und 1950 von Gustav Bredemann im Hinblick auf einen höheren Faseranteil züchterisch ausgelesen, geriet jedoch danach in Vergessenheit, bis sie im Rahmen des neu erwachten Interesses an alternativen Faserpflanzen in den 1990er Jahren wiederentdeckt und züchterisch weiterbearbeitet wurde.[14]

Im Vergleich zu Flachs und Hanf handelt es sich bei der Nessel um eine mehrjährige (perennierende) Pflanzenart, die als Dauerkultur viele Jahre Fasern liefert. Bisher liegen die Erfahrungen aus mehr als einem Jahrzehnt zu konstant guter Qualität der Fasern vor. Die aktuelle Nutzung der Fasernessel konzentriert sich auf die Gewinnung feiner Fasern zur Herstellung hochwertiger Textilien und für medizinische Anwendungen. Da insbesondere die Vermehrung – bisher vegetativ – sehr kostenintensiv ist, wird hier nach kostengünstigeren Alternativen geforscht. Die Gewinnung elementarer Nesselfasern über Entholzung, Reinigung, Krempeln, Kardieren und Degummierung entspricht denen der anderen Bastfasern. Die Fasergewinnung ist demnach genau so aufwendig wie bei anderen Bastfasern, wenn dabei elementare Nesselfasern und nicht nur Faserstränge herstellt werden.[15]


Speisepflanze

Die Brennnessel ist sowohl im rohen als auch im verarbeiteten Zustand essbar. Das gilt für alle ihre Pflanzenteile, wobei ihre Blätter und Samen am häufigsten verzehrt werden. Werden die Brennnesseln verarbeitet, gehen Inhaltsstoffe wie Vitamin C und B-Vitamine verloren. Daher ist es ratsam – falls möglich – die Brennnesseln roh zu essen.


Rezept für rohe Brennnesseln

# Brennnesseln mit einem Nudelholz überwalzen

# oder Brennnesseln kurz in warmes Wasser legen und mit einem Tuch auswringen

# oder mit einem Messer über die Pflanzenteile streifen

# oder Brennnesseln mixen

Durch die genannten Prozeduren gehen die Härchen kaputt, das Nesselgift tritt aus und kann keine Quaddeln mehr bei Ihnen hervorrufen. In diesem Zustand sind die Brennnesseln beispielsweise verwendbar für Salate zusammen mit Tomaten oder Gurken. Auch für Smoothies, Säfte, Kräuterdips und Joghurtsaucen eignen sie sich.
 

Brennnessel Spinat

# Zwiebel kleinhacken

# mit 200 g kleingeschnittenen Brennnesselblättern und Butter andünsten

# mit 200 ml Wasser und 50 ml Sahne auffüllen

#  mit Muskat, Pfeffer, Senf und Salz würzen

# 10 bis 20 Minuten garen und grob pürieren


Weitere Verwertungsideen

Es gibt noch viele weitere Rezeptideen zum Verwerten von Brennnesselblättern. Sie passen zu vielen Gerichten. Ob gedünstet zu Fleisch, im Risotto, in einem Gemüseeintopf, in einer Kräutersauce, im Auflauf oder kleingehackt in einem Omelett – den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Die Brennnesselsamen sind für Müsli, Joghurtspeisen und Salate geeignet.[16]


Brennnessel-Haselnuss-Likör[17]

Haselnüsse haben ein kräftiges Aroma, das sich durch das Anrösten verstärkt. Die Brennnesseln unterstützt es mit ihren grünen Tönen.

# 200 g Haselnüsse

# 30 g getrocknete Brennnesselblätter

# 500 ml Haselnussgeist 40-45 %

# 350 ml Haselnusssirup

# 150 ml Wasser

Die Haselnüsse grob raspeln, dann auf einem Blech verteilen und 15 Minuten bei 160 Grad im Backofen rösten. Kurz abkühlen lassen und lauwarm in den Haselnussgeist geben. Sofort gut verschließen und 2 Wochen ziehen lassen.

Die Brennnesselblätter in Wasser einen Tag einweichen und zusammen mit dem Haselnusssirup zu dem Haselnussansatz geben. 3 Wochen im verschlossenen Gefäß reifen lassen, währenddessen mehrmals gut durchschütteln.

Durch einen Faltenfilter filtrieren und in Flaschen abfüllen. Dunkel und verschlossen aufbewahren.


White Russian (Foto oben)

Das Lieblingsgetränk der Hauptfigur im Spielfilm The Big Lebowski von 1998 ist ein White Russian und wird aus Wodka, Kaffeelikör und Sahne oder Milch gemixt. Aufgrund der Bestandteile von Likör und Sahne zählt der Shortdrink zu den After-Dinner-Drinks. 

Hier finden Sie eine Variante mit Brennnessel-Haselnuss-Likör.

Rezept

# 4 cl Gin

# 2 cl Brennnessel-Haselnuss-Likör

# 1 cl Sahne oder Milch

Zubereitung:

1) Die Sahne oder Milch leicht schlagen, sodass sie gerade noch flüssig ist.

2) Einen Tumbler mit Eiswürfeln füllen.

3) Den Wodka und den Kaffeelikör ins Glas geben und umrühren.

4) Mit einer Kaffeebohne dekorieren und gleich servieren


Heilpflanze

Die Brennnessel ist als Heilpflanze eine der bekanntesten Kräuter in unseren Breiten. Kraut, Blätter und Samen enthalten viel Vitamin C, Vitamin A, Mineralsalze (vor allem Kalium und Kalzium), Chlorophyll, Karotinoide und organische Säuren.

Für einen Tee ein paar junge Blätter sammeln, mit heißem Wasser übergießen und genießen. Täglich mehrere Tassen Tee über den Tag verteilt, reinigen den Körper und sind im Rahmen einer Frühjahrskur sehr empfehlenswert. Brennnesseltee als altes Hausmittel soll diese Wirkungen haben:

# Entschlackung: Stoffwechsel anregend, Leber und Galle entgiftend

# Schmerz- und entzündungslindernde Eigenschaft: Durch die enthaltenen Flavonoide soll Brennnesseltee Schmerzen stillen und entzündliche Vorgänge hemmen, etwa bei Rheuma (Arthritis) oder auch Gelenkerkrankungen (Arthrose).

# Harntreibend: Wegen seiner harntreibenden Wirkung ist Brennnesseltee ein bekanntes Hausmittel bei Blasenentzündung.

# gegen Hautunreinheiten: Als Gesichtswasser wirkt Brennnesseltee gegen Hautirritationen.

# lindert Magen- sowie Menstruationsbeschwerden

# blutdrucksenkend

# stärkt das Immunsystem


Reiner Brennnesseltee hat allerdings keinen guten Ruf, weil ein Aufguss aus trockenen Blättern ein eher „muffiges“ Aroma hat. Dies kann verhindert werden, indem frische Blätter aufgebrüht oder getrocknete Brennnessel Blätter mit etwas Zitronenschalenabrieb abgerundet werden. So schmeckt der Brennnesseltee sogar fast spritzig.

Ein hartnäckiger Volksglaube besagt, dass Brennnesseln gegen Gicht und Rheuma helfen sollen. Früher „peitschte“ man sich mit Brennnesseln, benutzte sie um an der betreffenden Stelle ein stundenlanges Wärmegefühl zu erzeugen. Das fördert die Durchblutung und eignet sich deshalb hervorragend bei schmerzenden Gelenken, Rheuma- oder Ischiasbeschwerden. Wissenschaftlich belegt ist, dass die Pflanze Wirkstoffe enthält, die entzündungshemmend und antibakteriell wirken, was bei Rheuma oder Gicht hilfreich ist. Die Ursache für die brennenden Schmerzen und juckenden Quaddeln ist die Ameisensäure. Noch heute wird die „Urtikation“ bei Rheuma und Arthritis angewandt. Zur Wirksamkeit liegen allerdings keine aussagekräftigen, unabhängigen Studien vor, jedoch regen bestimmte Inhaltsstoffe der Brennnessel die Durchblutung an.


Aphrodisiakum, Zaubermittel und Ritualgewächs

Da setzt du dich in die Nesseln, warnt das Sprichwort den allzu Wagemutigen. Innerlich sträuben sich dem Betroffenen dann sicher die Haare, ganz ähnlich wie auch die Brennnesseln ihre zur Abwehr setzen. [18] Im Mittelalter galt die Brennnessel als ein Symbol schmerzlichen Liebesbrennens oder der hoffnungslosen Liebe. Man vermutete in der Brennnessel den Sitz eines dämonischen Wesens: „Pflanze, auf deren Blätter Pfeile wachsen mit brennendem Gift. Wer sich an ihr reibt, sticht sich an ihr“. Sie galt deshalb als Hexenkraut. Nur eine wahrhaftige Jungfrau konnte angeblich eine Brennnessel anrühren, ohne sich zu verbrennen. Weil die Brennnessel durchblutungssteigernd wirkt, gelten Gerichte mit ihr als aphrodisierend. Angeblich sollen sie auf Männer und Frauen gleichermaßen aphrodisierend wirken. Auch 1-2 Teelöffel Brennnessel-Samen ins Müsli gegeben soll das menschliche Lustbedürfnis steigern. Die Blätter können auch als Liebes-Rauchwerk dienen.[19]

Albrecht Dürer betrachtete die Brennnessel als eine „von Gott geschenkte Pflanze“, was in seinem Bild, auf dem ein Engel mit einer Brennnessel in der Hand zum Thron des Allmächtigen emporfliegt, zum Ausdruck kommt.

 

Blumensprache und Märchen

Wenn ihr an Nesseln streifet,

So brennen sie;

Doch wenn ihr fest sie greifet,

Sie brennen nie.

So zwingt ihr die Feinen,

Auch die gemeinen Naturen nie.

Doch presst ihr wacker

Wie Nussaufknacker,

So zwingt ihr sie.

(Friedrich Rückert) [20]


Im Märchen von Hans Christian Andersen „Die wilden Schwäne“ muss die stumme Königin 7 Hemden aus (Brenn) Nesseln anfertigen (in alten Zeiten noch üblich, worauf der Name "Hanfnessel" anspielt), um ihre Bruder zu erlösen, im Grimm’schen Märchen "Jungfrau Maleen" spielt ebenfalls die Brennnessel eine Rolle.

Victor Hugo erzählt in seinem Roman „Les Miserables – Die Elenden“ von einem Mann, der in einem armen Dorf auftaucht und die Leute lehrt, die Brennnesseln, die dort überall wachsen und bis dahin als Unkraut angesehen wurden, zu nutzen. Als Faserpflanze, als Nahrungsmittel oder auch als Dünger lindere die Brennnessel die Not der armen Leute.[21]

Brennnessel, verkanntes Kräutlein von Hoffmann, Dr. Heinrich (1809-1894)

Brennnessel, verkanntes Kräutlein, Dich muss ich preisen,

Dein herrlich Grün in bester Form baut Eisen,

Kalk, Kali, Phosphor, alle hohen Werte,

Entsprießend aus dem Schoß der Mutter Erde,

Nach ihnen nur brauchst Du Dich hinzubücken,

Die Sprossen für des Leibes Wohl zu pflücken,

Als Saft, Gemüse oder Tee sie zu genießen,

Das, was umsonst gedeiht in Wald, auf Pfad und Wiesen,

Selbst in noch dürft´ger Großstadt nahe Dir am Wegesrande,

Nimms hin, was rein und unverfälscht die gütige Natur

Dir heilsam liebend schenkt auf ihrer Segensspur!


Verwendung im Garten

Aus den Brennnessel Pflanzen kann ein hochwertiger Flüssigdünger und Bodenverbesserer sowie auch eine Jauche hergestellt werden. Letztere wird von vielen Gärtnern als biologisches Pflanzenschutzmittel eingesetzt, denn sie gilt als schädlingsabwehrend und düngt die Pflanzen ganz natürlich mit Stickstoff, Kalium und Kieselsäure. Sie soll übrigens auch den Geschmack von Gemüse, etwa Tomaten und Gurken , verbessern. Für Brennnesseljauche geben Sie ein Kilogramm Brennnesseln und zehn Liter Regenwasser in einen Bottich, decken ihn ab und stellen ihn in die Sonne. In den nächsten zwei Wochen sollten Sie die Masse jeden Tag einmal umrühren. Gegen den Geruch hilft es, Steinmehl, Kompost oder Lehmerde darunterzumischen. Sobald sich die Jauche dunkel verfärbt, kann sie zum Düngen verwendet werden. Je nach Bedarf braucht man zwei bis fünf Liter pro Quadratmeter.[22]


Quellen:
[1] Utopia – Die Brennnessel, eine echte Nährstoffbombe und Bakterienbremse, von Silke Neumann, 19.02.2020

[2] wikipedia.org/wiki/Brennnesseln

[3] www.kraeuter-buch.de/kraeuter/Brennnessel

[4] www.biologie-seite.de/Biologie/Brennnesseln

[5] www.biologie-seite.de/Biologie/Brennnesseln

[6] www.gartenjournal.net/brennessel-aehnliche-pflanze

[7] www.biologie-seite.de/Biologie/Brennnesseln

[8] wikipedia.org/wiki/Brennnesseln

[9] www.boden-fachzentrum.de/bodenqualitaet/zeigerpflanzen/zeigerpflanze-brennnessel

[10] NABU Mecklenburg-Vorpommern. Verkannter Schatz im Garten, Die Große Brennnessel

[11] Brennnesseln, ein Portrait. Ludwig Fischer und Judith Schalansky (Hg.) Auflage: 2, ISBN: 978-3-95757-407-7

[12] www.gartenjournal.net/brennnessel-essen

[13] Stoffe färben: Die besten Färberpflanzen – Mein schöner Garten und wikipedia.org/wiki/Brennnesseln

[14] wikipedia.org/wiki/Fasernessel

[15] www.naturfaserverband.com/faserpflanzen/bastfaserpflanzen/fasernessel/

[16] www.gartenjournal.net/brennnessel-essen

[17] Blüten und Kräuter Liköre Rita Vitt (Hg.), ISBN: 978-3-8186 0689 3

[18] kraeutergarten-pommerland.de/aktuelles/87-kleine-kraeuterkunde.html

[19] geschichtenerzaehler.in / ungezaehmte-pflanze-brennnessel

[20] (1788 bis 1866), alias Freimund Raimar, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer und chinesischer Dichtung

[21] www.zauber-pflanzen.de/urtica.htm

[22] www.haus.de/garten/brennnessel-wirkung

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Tausende Stare bewegen sich dabei wie eine einzige, atmende Masse durch den Himmel. Kein Anführer, kein Regisseur, kein zentrales Kommando – und doch absolute Synchronität. Der Grund ist denkbar pragmatisch: Raubvögel wie Falken können sich kaum auf ein einzelnes Ziel konzentrieren. Der Schwarm schützt jedes einzelne Tier durch pure Kooperation. Kein Vogel ist wichtiger als der andere, und genau das macht alle sicherer. Ein Prinzip, das auch in menschlichen Teams erstaunlich gut funktioniert – zumindest solange niemand versucht, sich dauerhaft in den Mittelpunkt zu drängen. Ähnlich klar organisiert ist die Zusammenarbeit bei Wölfen – allerdings weniger hierarchisch, als lange angenommen wurde. Moderne Verhaltensforschung zeigt: Ein Wolfsrudel ist meist eine Familiengemeinschaft, bestehend aus einem Elternpaar und dessen Nachwuchs. Entscheidungen entstehen oft situativ und kooperativ. Das berühmte Heulen ist kein Ausdruck von Romantik, sondern ein hochfunktionales Kommunikationsmittel. 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Flamingos etwa versammeln sich zu Tausenden und führen synchronisierte Gruppentänze auf. Beine heben, drehen, schreiten – alles gleichzeitig. Das sieht spektakulär aus, erfüllt aber einen klaren Zweck: Es stärkt den Zusammenhalt und spielt eine zentrale Rolle bei der Partnerwahl. Wer aus dem Takt gerät, fällt auf. Auch Delfine sind bekannt für ihre synchronen Bewegungen. Sie schwimmen abgestimmt, führen gemeinsame Pirouetten aus, helfen verletzten Artgenossen und lösen Probleme kooperativ. Empathie ist hier kein sentimentaler Zusatz, sondern Teil der Überlebensstrategie. Besonders spannend wird Zusammenarbeit dort, wo sie Artgrenzen überschreitet. In der Natur nennt man das Symbiose – Zusammenleben zum gegenseitigen Vorteil. Ein klassisches Beispiel ist die Beziehung zwischen Clownfisch und Seeanemone. Die Anemone ist mit giftigen Nesselkapseln bewaffnet, die selbst große Räuber vertreiben. Der Clownfisch jedoch lebt geschützt zwischen ihren Tentakeln, da seine Haut chemisch so getarnt ist, dass die Anemone ihn nicht als Fremdkörper erkennt. Im Gegenzug vertreibt der Clownfisch Fressfeinde der Anemone. Schutz gegen Verteidigung. Klarer Deal, klare Rollen. Auch Wölfe arbeiten artübergreifend – etwa mit Kolkraben. Die Vögel entdecken aus der Luft Kadaver oder verletzte Tiere, die Wölfe öffnen mit ihren Zähnen die dicke Haut. Erst dann können beide fressen. Ohne Absprache, aber mit gegenseitigem Nutzen. Vertrauen entsteht hier nicht aus Sympathie, sondern aus Erfahrung. Im Korallenriff übernehmen Putzerfische die Rolle mobiler Zahnärzte. Große Fische öffnen bereitwillig ihr Maul und lassen Parasiten und Essensreste entfernen. Eine riskante, aber lohnende Kooperation. Allerdings gibt es Betrüger: Fische, die sich als Putzer tarnen, zubeißen und fliehen. Die Folge ist Misstrauen. Manche Räuber fressen lieber den Putzerfisch, als sich auf die Reinigung einzulassen. Auch das ist Natur: Kooperation braucht Verlässlichkeit – sonst endet sie abrupt. Nicht jede Symbiose ist so ausgewogen, wie sie lange schien. Beim Madenhacker etwa, der auf Antilopen, Büffeln oder Nashörnern sitzt, zeigte sich erst spät: Er frisst nicht nur Parasiten, sondern oft auch Fleisch aus offenen Wunden. Die Beziehung nützt häufig mehr dem Vogel als dem Säugetier. Zusammenarbeit ist also nicht automatisch fair. Ein wichtiger Hinweis für alle, die Teamarbeit idealisieren. Dass Kooperation sogar hochgradige kognitive Leistungen erfordert, zeigen aktuelle Forschungen zur gemeinsamen Jagd von Oktopussen und Rifffischen. Der Biologe Eduardo Sampaio und sein Team konnten nachweisen, dass diese Tiere ihr Verhalten flexibel aufeinander abstimmen. Die Fische zeigen dem Oktopus versteckte Beute, der Oktopus scheucht sie heraus oder umschlingt sie mit seinen Armen. Wer die Zusammenarbeit ausnutzt, riskiert Sanktionen. Kooperation erfordert Wahrnehmung, Lernen – und soziale Kontrolle. Besonders aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen Wolf und Hund. Obwohl Hunde als besonders kooperativ gelten, schneiden sie in Tests zur Zusammenarbeit mit Artgenossen schlechter ab als Wölfe. In Experimenten, bei denen zwei Tiere gleichzeitig an einem Seil ziehen mussten, um an Futter zu kommen, warteten Wölfe geduldig aufeinander und koordinierten ihr Handeln. Hunde agierten häufiger individuell. Die Erklärung ist simpel und unbequem: Hunde sind auf Kooperation mit Menschen selektiert – nicht mit ihresgleichen. Teamfähigkeit ist also keine Selbstverständlichkeit, sondern kontextabhängig. Ein Extrembeispiel für kompromisslose Zusammenarbeit liefern Nacktmulle. Blind, haarlos und fast schmerzunempfindlich leben sie in Kolonien von bis zu 300 Tieren unter der Erde. Es gibt eine Königin, Arbeiter und Soldaten, klare Aufgaben und sogar eigene Dialekte. Effizienz und Spezialisierung sind hier perfekt – individuelle Freiheit spielt keine Rolle. Bewundernswert, ja. Erstrebenswert für menschliche Teams? Eher nicht. Denn natürlich hat Zusammenleben auch Nachteile. Konkurrenz um Nahrung, Rangkämpfe, Krankheiten und Parasiten gehören ebenso dazu. Tiergruppen müssen ständig abwägen, ob Kooperation sich lohnt. Gruppengröße, Verwandtschaft, Lebensraum und Jahreszeit entscheiden darüber, ob Teamarbeit Vorteile bringt oder zur Belastung wird. Und genau hier liegt die wichtigste Lehre für uns Menschen: Gute Teams entstehen nicht aus Harmonieversprechen, sondern aus Klarheit. Klare Kommunikation, verlässliche Rollen, gegenseitiger Nutzen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Tiere zeigen uns nicht, wie man nett zusammenarbeitet – sondern wie man wirksam zusammenlebt. Vielleicht ist das der größte Mehrwert der Natur für Coachingprozesse: Sie erlaubt uns, Teamverhalten jenseits von Moral und Ideologie zu betrachten. Ehrlich, funktional und oft erstaunlich humorvoll. Denn manchmal reicht ein Blick ins Starengemurmel, um zu erkennen: Wenn alle versuchen, der Falke zu sein, wird das Team sehr schnell sehr klein. Quellen: Teamwork - 3sat-Mediathek Symbiose: Warum sich Tierarten zusammentun - [GEOLINO] Tiere als Teamplayer: Was wir von ihnen für die Zusammenarbeit im Job lernen können - Heidrun Jürgens Personaldienstleistungen Tierische Allianzen | campus.kn Wölfe sind die besseren Teamplayer - wissenschaft.de Wie leben Tiere zusammen - VRM Wochenblätter Natho, F. (2005). Die Lösung liegt im Team. Handbuch zur Arbeit mit der Skalierungsscheibe. Dessau: Gamus. Frank Natho systhema 3/2007 · 21. Jahrgang · Seite 357-370
von Alexandra Abredat 14. Dezember 2025
Wenn der Herbst die Gärten leiser macht und die letzten Blüten verblassen, beginnt für Schmetterlinge eine Zeit der Entscheidung. An milden Oktobertagen sitzt vielleicht noch ein Zitronenfalter reglos im Laub, als hätte ihn jemand vergessen. Kein Flattern, kein Suchen nach Nektar – nur Stille. Während wir Fenster schließen und Jacken hervorholen, prüfen Schmetterlinge ihre Optionen: bleiben oder gehen, erstarren oder reisen, sich verbergen oder verwandeln. Die meisten verschwinden aus unserem Blickfeld – und genau hier beginnt das große Missverständnis. Denn Schmetterlinge sind im Winter keineswegs verschwunden. Sie sind nur anders da: als Ei, als Raupe, als Puppe, als scheinbar lebloser Falter im Verborgenen oder auf dem Weg in den Süden. Bleiben oder gehen – die erste Entscheidung Nicht alle Schmetterlinge stellen sich dem Winter in Deutschland. Einige wählen den radikalsten Weg: die Flucht. Zu diesen sogenannten Wanderfaltern gehören Admiral, Distelfalter, Taubenschwänzchen oder Windenschwärmer. Sie verlassen Mitteleuropa im Herbst und ziehen Richtung Südeuropa oder sogar bis nach Afrika. Dabei legen sie Strecken von mehreren hundert bis zu über zweitausend Kilometern zurück. Orientierung bieten ihnen Sonnenstand, Landschaftsstrukturen und das Erdmagnetfeld. Der Winter wird also nicht „überstanden“, sondern schlicht umgangen. Erst ihre Nachkommen oder zurückkehrende Generationen tauchen im Frühjahr wieder bei uns auf. Diese Wanderungen sind keine romantischen Ausflüge, sondern eine nüchterne energetische Entscheidung: Wo es keine Nahrung gibt, lohnt sich kein Verharren. Ausharren als Falter – Überwintern im Stillstand Nur wenige unserer heimischen Tagfalter überstehen den Winter als ausgewachsener Schmetterling. In Baden-Württemberg sind es lediglich sechs Arten: Tagpfauenauge, Kleiner und Großer Fuchs, C-Falter, Trauermantel und der Zitronenfalter. Sie suchen im Spätherbst geschützte Orte auf – Baumhöhlen, Felsspalten, Holzschuppen, Scheunen, Keller oder Dachböden. Dort hängen sie reglos, oft kopfüber, und fallen in eine Winterstarre. Winterstarre bedeutet: Der Stoffwechsel wird auf ein Minimum heruntergefahren, Bewegung eingestellt, Energie gespart. Jeder unnötige Reiz kostet Reserven. Genau hier lauert eine der größten Gefahren durch den Menschen: die sogenannte Wärmefalle. Steigt die Umgebungstemperatur dauerhaft über etwa zwölf Grad – etwa durch eine Heizung – erwachen die Falter. Sie flattern umher, verbrauchen Energie, finden aber keine Nahrung. Bleiben sie in der Wärme, verhungern sie. Setzt man sie unbedacht ins Freie, droht der Kältetod. Entscheidend ist daher ein kühler, frostfreier Ort mit der Möglichkeit, im Frühjahr wieder ins Freie zu gelangen. Der Sonderfall Zitronenfalter – Frostschutz aus eigener Produktion Der Zitronenfalter nimmt unter den heimischen Arten eine Sonderstellung ein. Er überwintert als einziger mitteleuropäischer Schmetterling ungeschützt im Freien, oft im trockenen Laub am Boden oder am Fuß von Bäumen. Möglich macht das ein körpereigenes Frostschutzsystem: Durch die Anreicherung seiner Körperflüssigkeiten mit Glycerin, Sorbit und Eiweißen senkt er den Gefrierpunkt so stark ab, dass Temperaturen bis minus zwanzig Grad überstanden werden können. Selbst schneebedeckte Zitronenfalter wurden schon gefunden – reglos, aber lebendig. Diese Fähigkeit erklärt auch sein ungewöhnlich langes Leben: Während viele Falter nur wenige Wochen leben, kann der Zitronenfalter fast ein Jahr alt werden. Er legt lange Ruhephasen ein – im Sommer wie im Winter – und startet im Frühjahr oft als einer der ersten Schmetterlinge in die neue Saison. Verwandlungspause – Winter als Entwicklungszeit Für die Mehrheit der Schmetterlinge gilt jedoch: Nicht das erwachsene Tier überlebt den Winter, sondern der Lebenszyklus. Viele Arten sterben im Herbst nach der Fortpflanzung. Gesichert wird nicht das Individuum, sondern die nächste Generation. Ein Teil der Arten überwintert als Puppe. Schwalbenschwanz, Aurorafalter oder Landkärtchen sind dann gut geschützt in einer Chitinhülle, angeheftet an Pflanzenstängeln, verborgen im Boden oder eingesponnen in Kokons. Andere Arten gehen als Raupe in den Winter – etwa Bläulinge, Schillerfalter oder das Schachbrett. Manche verkriechen sich unter Rinde oder Laub, andere bauen sich spezielle Gespinste, sogenannte Hibernarien. Wieder andere harren nahezu schutzlos an ihren Futterpflanzen aus. Auch das Ei kann ein Winterquartier sein, etwa beim Apollofalter oder Nierenfleck-Zipfelfalter. Winzig, unscheinbar und erstaunlich widerstandsfähig trotzen diese Entwicklungsstadien Frost, Trockenheit und Zeit. Energie sparen um jeden Preis Allen Strategien gemeinsam ist ein zentrales Prinzip: Energie. Im Winter gibt es keine Blüten, keinen Nektar, kaum Möglichkeiten zur Nahrungsaufnahme. Deshalb wird gespart, gedrosselt, stillgelegt. Jede Störung – Bewegung, Wärme, falsches Umsetzen – kann den fein austarierten Energiehaushalt kippen. Der Winter ist für Schmetterlinge keine Schlafenszeit, sondern ein biologischer Ausnahmezustand. Klimawandel – wenn der Winter aus dem Takt gerät Zunehmend problematisch sind milde Winterphasen. Warme Tage im Februar oder März können überwinternde Falter aus der Starre holen. Sie erwachen, finden jedoch noch keine Nahrung. Kommt danach erneut Frost, überleben viele diese zweite Kältephase nicht. Der Klimawandel verändert damit nicht nur Temperaturen, sondern ganze Zeitpläne – und stellt besonders überwinternde Falter vor neue Risiken. Was wir tun können – helfen durch Nichtstun Der wichtigste Beitrag des Menschen ist oft Zurückhaltung. Wer überwinternde Falter entdeckt, sollte sie nicht stören. Gärten profitieren von Unordnung: liegen gelassenes Laub, stehen gelassene Stängel, Reisig- und Steinhaufen bieten lebenswichtige Winterquartiere. Gartenhäuser, Schuppen oder unbeheizte Garagen können helfen – vorausgesetzt, sie bleiben kühl und bieten im Frühjahr einen Ausgang ins Freie. Findet man einen Falter in einem beheizten Raum, ist behutsames Umsiedeln gefragt: vorsichtig in eine Pappschachtel setzen, kühl und frostfrei unterbringen, Flügel niemals berühren. Und im Frühling: Türen, Fenster und Luken öffnen. Wenn dann die ersten sonnigen Tage kommen und ein Zitronenfalter gelb durch den noch kahlen Garten flattert, ist das kein Wunder. Es ist das sichtbare Ende eines langen, stillen Winters – und der Beweis, dass Überleben manchmal vor allem eines braucht: Ruhe. Sonderfall Winterliebe: Der Frostspanner Während die meisten Schmetterlinge den Winter meiden, verschlafen oder in andere Entwicklungsstadien auslagern, gibt es Arten, die der Kälte bewusst entgegentreten. Ein besonders anschauliches Beispiel sind die Frostspanner. Wer im Spätherbst oder frühen Winter nachts durch Wälder oder an Baumreihen entlangfährt, kann sie im Lichtkegel der Scheinwerfer entdecken: kleine, helle Falter, die scheinbar unbeeindruckt von Frost und Dunkelheit umherflattern. Biologisch betrachtet ist dieses Verhalten ebenso kühn wie klug. Beim Kleinen Frostspanner (Operophtera brumata) und beim Großen Frostspanner (Erannis defoliaria) erscheinen die erwachsenen Falter erst sehr spät im Jahr – meist ab November, manchmal sogar noch bei leichtem Frost. Die Männchen sind flugfähig und auf nächtlicher Suche nach Weibchen, die hoch oben in den Baumkronen sitzen. Diese wiederum besitzen keine Flügel. Stattdessen klettern sie an Baumstämmen empor und senden von dort intensive Sexualduftstoffe aus, sogenannte Pheromone, die die Männchen zuverlässig anlocken. Der Winter bietet den Frostspannern dafür ideale Bedingungen. Viele ihrer natürlichen Feinde sind zu dieser Jahreszeit nicht aktiv: Fledermäuse halten Winterruhe, Zugvögel sind längst im Süden, und auch die Konkurrenz anderer Nachtfalter ist minimal. Kälte wird hier nicht zum Hindernis, sondern zur strategischen Bühne für die Fortpflanzung. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre winzigen Eier gut versteckt in Rindenritzen ab. Die erwachsenen Tiere selbst leben nur wenige Tage; ihre Mundwerkzeuge sind verkümmert, Nahrung nehmen sie nicht mehr auf. Im Frühjahr schlüpfen die Raupen pünktlich zum Blattaustrieb. Vor allem die grünen Raupen des Kleinen Frostspanners sind dann gefräßig und können Bäume zeitweise kahl fressen – ein Anblick, der dramatischer wirkt, als er ist. Die meisten Gehölze treiben problemlos wieder aus. In naturnahen Gärten regulieren Vögel wie Kohlmeisen den Raupenbestand ganz von selbst. Eine weitere Besonderheit verbindet die Frostspanner mit anderen Überwinterungsstrategen der Insektenwelt: In ihren ersten Lebenstagen lassen sich die Jungraupen mithilfe feiner Seidenfäden vom Wind verdriften. Dieses sogenannte „Ballooning“ sorgt dafür, dass sich die nächste Generation im Lebensraum verteilt – ein leiser, luftiger Neuanfang nach einem Winter, der für ihre Eltern das Ende bedeutete. Der Frostspanner zeigt damit eindrucksvoll, dass Überwinterung nicht immer Rückzug oder Starre bedeutet. Manchmal heißt sie auch: hinausgehen in die Kälte, wenn sonst niemand mehr unterwegs ist – und genau dort erfolgreich sein. Quellen: Schmetterlingen in der Wohnung helfen Überwinterung der Schmetterlinge, NABU Baden-Württemberg Wie überwintern Schmetterlinge? - Plantura Schmetterlinge überwintern: Hier finden sie ein Winterquartier | kraut&rüben Schmetterlinge im Winter - NABU NRW Frostspanner: Duftendes Liebeswerben in kalten Nächten - NABU aktion tier – Menschen für Tiere e.V.: Überwinterungsstrategien unserer Schmetterlinge und wie man ihnen helfen kann
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