Mit Schirmchen in den Tod – die mörderische Welt der Doldenblütler
Stell dir eine blühende Sommerwiese vor: Überall wiegen sich kleine, zarte weiße Schirmchen im Wind, es summt und brummt. Idylle pur – oder etwa nicht? Denn diese „Engelsdolden“ sind die geheime Mafia der Pflanzenwelt. Während Karotten, Petersilie und Fenchel brav unsere Teller zieren, lauern im gleichen Blütenschirm tödliche Serienkiller: Gefleckter Schierling, Wasserschierling, Hundspetersilie.
Die Doldenblütler sind eine Familie mit Doppelleben: die eine Hälfte würzt dein Gulasch, die andere sorgt dafür, dass schon ein kleiner Fehlgriff tödlich enden kann. Mit ihren ätherischen Ölen bereichern sie Küche und Medizin – aber seit Sokrates’ Zeiten auch die Kriminalgeschichte der Menschheit.
Bild unten: Gold-Kälberkropf (Chaerophyllum aureum)

Küchenhelden und giftige Verwandte
Die Familie der Apiaceae umfasst über 3.780 Arten in mehr als 434 Gattungen. Sie sind weltweit verbreitet, bevorzugen aber gemäßigte Zonen. Typisch: die Doppeldolden, kleine Sonnenschirmchen aus vielen Einzelblütchen.
Kulinarische Stars: Möhre, Petersilie, Dill, Fenchel, Anis, Koriander, Kümmel, Liebstöckel.
Finstere Figuren: Gefleckter Schierling, Wasserschierling, Hundspetersilie, Riesen-Bärenklau.
Bilder unten: Wiesen-Bärenklau (Heracleum sphondylium)
Wenn Pflanzen Geschichte schreiben
1. Der Schierlingsbecher – Sokrates’ letzter Cocktail
399 v. Chr. in Athen: Der Philosoph Sokrates wurde zum Tode verurteilt, angeblich weil er die Jugend verderbe – heute würde man ihn vermutlich als „Influencer“ bezeichnen. Sein letzter Drink? Kein Schwert, kein Strick, sondern ein Becher Schierlingssaft.
Das darin enthaltene Coniin lähmt den Körper von unten nach oben: erst die Füße, dann die Beine, schließlich das Herz. Für seine Schüler ein trauriges Schauspiel, für die Botanik ein historischer Auftritt.
2. Römische Giftküchen
Auch die Römer kannten die tödliche Kraft der Doldenblütler. Cicuta (Wasserschierling) und Conium galten als elegante Mordwerkzeuge. In den Schriften finden sich Hinweise, dass unliebsame Mitbürger damit „aus dem Verkehr gezogen“ wurden – diskreter als mit Dolch, politisch clever verschleiert.
3. Mittelalterliche Hexenküche
Im europäischen Mittelalter wuchs die Angst vor Hexen – und die Doldenblütler spielten dabei eine Rolle. Petersilie und Liebstöckel wurden hochgelobt, Schierling und Hundspetersilie dagegen als „Hexenkräuter“ gefürchtet. Manche Kräuterbücher beschrieben sie sogar als Zutaten für „Flugsalben“. Ob das real oder reine Fantasie der Inquisitoren war, sei dahingestellt. Sicher ist: Wer an der falschen Dolde knabberte, landete nicht auf dem Besen, sondern ziemlich schnell im Grab.
4. Bauernmedizin und Irrtümer
In der Volksmedizin waren Doldenblütler unverzichtbar: Kümmel gegen Blähungen, Fenchel für Babys, Anis im Schnaps – alles fein. Doch Verwechslungen waren tückisch: Immer wieder griff jemand statt zur Wilden Möhre zum Schierling – mit tödlichem Ausgang.
Foto unten: Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris)

Die tödliche Chemie der Dolden
- Coniin (Gefleckter Schierling): lähmt Muskeln und Nerven.
- Cicutoxin (Wasserschierling): schon kleinste Mengen tödlich.
- Furanocumarine (Riesen-Bärenklau): phototoxisch, verursachen Sonnenbrand auf nackter Haut –
ohne dass man einen Cocktail trinken muss.
Die Natur hat hier eine perfekte Mischung aus Verführung und Gefahr
geschaffen:
hübsch anzusehen, aber potenziell tödlich.
Vorsicht, Doppelgänger!
Wer Wildkräuter sammelt, muss genau hinschauen:
- Wilde Möhre vs. Gefleckter Schierling – der falsche Griff kann tödlich sein.
- Petersilie vs. Hundspetersilie – Hundeparfüm statt Küchenfrische.
- Kerbel vs. Wasserschierling – aromatisch oder lebensgefährlich?
Geruch hilft oft: Schierling riecht nach Mäuse-Urin, Hundspetersilie unangenehm nach Knoblauch.
Bild unten: Wilde Möhre (Daucus carota subsp. carota)

Fazit: Schirmchen mit Respekt
Die Doldenblütler sind faszinierend: Sie haben die Küche verfeinert, die Medizin bereichert und die Geschichte geprägt.
Ihre Schönheit täuscht – ein Fehlgriff kann fatale Folgen haben.
Wer sie sammelt oder anbaut, sollte Wissen, Respekt und Vorsicht mitbringen. Denn während die Karotte die Suppe würzt, könnte ihr böser Zwilling – der Schierling – die Suppe des Lebens abrupt beenden.
Merke:
Petersilie ja – Hundspetersilie nein.
Karotte ja – Schierling nein.
Und ein Glas „Schierlingssmoothie“? Lieber höflich ablehnen.
Bild unten: Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris)

Was tun bei einer Vergiftung?
Falls jemand versehentlich giftige Pflanzenteile gegessen hat:
- Sofort handeln: Nicht abwarten!
- Notarzt oder Giftnotruf kontaktieren – z. B. in Deutschland 030 19240.
- Symptome beobachten: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Lähmungen, Brennen im Mund.
- Keine Hausmittel riskieren: Kein Erbrechen herbeiführen ohne ärztliche Anweisung.
- Proben sichern: Ein Stück der Pflanze mitnehmen, damit Ärzte die Art identifizieren können.
Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Doldenblütler
www.gaissmayer.de/web/shop/gestaltung/pflanzengestalten/bluetenformen/doldenblueten/83/
www.baumschule-horstmann.de/familie/doldenbluetler
www.naturadb.de/pflanzen/conium-maculatum/
Gefährliche Doppelgänger - NABU Mecklenburg-Vorpommern







